Man wird sich heute kaum retten können vor Informationen über den Start des deutschen Astronauten Dr. Alexander Gerst zur Internationalen Raumstation ISS. Daher hier nur ein paar Gedanken, die mich dieser Tage durchströmen…
Leider wird das öffentliche Interesse nur selten so auf Raumfahrtthemen gelenkt wie heute, da wir Deutschen wieder Astronaut sein dürfen. Viele spannende Raumfahrtmissionen wie „Rosetta“ zum Kometen 67P/Tschurjumow-Gerasimenko oder „New Horizons“ zum fernen Zwergplaneten Pluto sind den wenigsten Menschen überhaupt bekannt. „Klar“, wird man sagen, „was hat das auch mit meinem Leben zu tun, was ’die da‘ an irgendwelchen Himmelsbrocken herumforschen? Das kostet doch nur teures Steuergeld – das gehört sowieso besser in Straßen und Schulen investiert!“
Effektivität versus Neugier
Ohne die dem Menschen eigene Neugier aber hätte der amerikanische Kontinent aber weder die ersten wagemutigen Wikinger gesehen noch den leidgeprüften Europäern eine ganze neue Welt zu Füßen gelegt. Pole wären unbesucht, Urwälder unerforscht und Berggipfel unbestiegen geblieben. Die Menschen hätten sich, ohne dem ihnen eigenen inneren Bestreben, zu wissen, „was die Welt im Innersten zusammenhält“ wahrscheinlich ganz schnell wieder von dieser Weltbühne verabschiedet, noch lange bevor sie einigermaßen aufrecht gehen konnten.
Erfüllte Träume
Und nun gibt es (für uns) diesen einen Menschen, Alexander Gerst, mit dem heute Abend eine ganze Nation in den nahen Weltraum fliegen darf. Mit ihm starten der russische Kosmonaut Maxim Surajew und der amerikanische Astronaut Gregory Reid Wiseman. Was ich über die Beweggründe und Träume dieses Mannes gelesen habe, im aktuellen DLR-Magazin oder zum Beispiel auf der –> Sonderseite des DLR, lässt mich ganz deutlich spüren, dass hier ein Mensch die einmalige Möglichkeit erhalten hat, sich tatsächlich einen Kindheitstraum wirklich zu erfüllen. Er erhält die wirklich ziemlich exklusive Möglichkeit, zu den wenigen Menschen zu gehören, die sich so weit über unseren Planeten erheben, dass sie diese leuchtend blaue Kugel im schwarzen und lebensfeindlichen All mit Auge und Geist als Ganzes erfassen können. So lautet auch der Name dieser Mission zur ISS „Blue Dot“, Blauer Punkt. Der amerikanische Astronom, Astrophysiker und Schriftsteller Carl Sagan hatte ein diese Bezeichnung für die Erde im All vor über 20 Jahren geprägt, als ein Foto der Raumsonde Voyager 1 unseren Planeten aus einer Entfernung von über 6 Milliarden Kilometern als eben solchen kleinen, blassen Punkt zeigte. (Bitte hierzu unbedingt die Worte Carl Sagans am Ende dieses Artikels lesen!)
Übrigens: Die Saturnsonde Cassini hat am 22. Juli 2013 einen würdigen Nachfolger dieses berühmten Bildes fotografiert: Man erkennt die Erde als leuchtenden blauen Fleck unterhalb der Saturnringe. Er trägt rund 7 Milliarden Menschen.
Die Mission wird beim DLR so beschrieben, Zitat:
Der Missionsname für den Flug von Alex wurde gewählt, weil die Forschung auf der ISS dem Leben auf der Erde dient: Viele Experimente aus Medizin, Biologie und Physik sollen neue Erkenntnisse erbringen, die vor allem auch auf dem Boden zu Verbesserungen führen sollen. Und mit ihrer internationalen Crew aus vielen Ländern ist die ISS ja auch ein Beispiel für friedliche Zusammenarbeit über Grenzen hinweg.
Ein langer Weg
Für die Erfüllung seines persönlichen Lebenstraumes musste Alexander Gerst zunächst die Hürde des Astronauten-Auswahlverfahrens überwinden: aus rund 8.400 Bewerbern wurden in einem mehrstufigen Auswahlverfahren sechs Astronauten, darunter die Italienerin Samantha Cristoforetti, für die Europäische Raumfahrtorganisation ESA „herausgefiltert“. Von seiner Bewerbung im Jahr 2008 bis zum offiziellen Status des Astronauten (-Azubis) im November 2010 führte er bestimmt ein Leben zwischen Hoffen und Bangen.
Zu diesem Auswahlverfahren und einigen Aspekten der darauf folgenden Ausbildung gibt es eine sehr hörenswerten Podcast-Episode von Raumzeit mit Tim Pritlove im Gespräch mit Samatha Cristoforetti. Sie gehört in diesem Moment übrigens zur Backup-Crew und wird dann mit der nächsten Mission zur ISS starten. Ein tolles Logbuch über ihre Ausbildung findet man unter Google+.
Seit dieser Zeit hat sich das Leben für den studierten Geophysiker komplett an den Erfordernissen des Astronautentrainings ausgerichtet: Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, wie viel Information, Wissen, Abläufe diese Auszubildenden innerhalb kurzer Zeit in sich aufnehmen mussten! Es geht ja für die mitfliegenden Astronauten nicht allein darum, ein paar Experimente auf der Raumstation durchzuführen – nein: ein jeder von ihnen bekommt ja zusätzlich sämtliche notwendigen Fähigkeiten mit auf den Weg, die für den Start der Rakete, den Betrieb der Raumstation und die Landung der Soyuz-Kapsel in der kasachischen Steppe notwendig sind. Und das heißt: wirklich jede nur denkbare alltägliche oder Notfallsituation einer solchen Mission wurde im Laufe der letzten vier Jahre durchgespielt, simuliert, Verfahren einstudiert, Handgriffe und Abläufe automatisiert… Es sollte wirklich kein Ereignis mehr diese Astronauten „auf dem linken Fuß“ erwischen. Feuer, Druckverlust, Sauerstofflecks, Computerausfälle – diese Crews haben im Ernstfall nicht die Zeit, sich zu überlegen, was nun zu tun ist. Auch die Möglichkeit, dass die Landekapsel fernab der Zivilisation, etwa irgendwo in Sibirien niedergeht, wurde mit Überlebenstrainings abgebildet.
Hinzu kommen all die Routine-Verfahren, die ebenfalls von jedem Einzelnen beherrscht werden müssen: Das Andocken von Transport- oder Versorgungsschiffen, die Bedienung des Roboterarms Canadarm und viele alltägliche, dabei aber nicht trivialen Tätigkeiten auf der Raumstation. Außerdem ist Herr Gerst nicht nur Astronaut sondern auch Experimentator: Über die gut 160 Experimente, die er im Auftrag von Wissenschaft und Industrie (sowie von Schülern!) durchführt, muss er im Prinzip einzeln Bescheid wissen, muss sie korrekt installieren, initialisieren, durchführen und protokollieren. In vielen Fällen stehen jahrelange Forschungs- und Vorbereitungszeiten dahinter und ein Misslingen aufgrund von Fehlbedienung wäre nicht nur ärgerlich sondern unwiederholbar und für die betroffenen Forscher äußerst tragisch. Nicht unerwähnt bleiben sollte, dass auch die russische Sprache (und Schrift) erlernt wurde, um die Kommunikation mit allen Crewmitgliedern und Bodenstationen sicher zu stellen.
Die letzten Abenteurer?
Der Beruf des Astronauten ist also weniger der eines der letzten Abenteurer dieser Epoche. Es ist eine extrem verantwortungsvolle Aufgabe nicht für das eigene Ego sondern für andere Menschen, Wissenschaftler, manchmal sogar für Erkenntnisse, die die Zukunft unseres Lebens prägen können. Sich dieser Verantwortung zu stellen und eine Ausbildung zu rechtfertigen, die an Standorten rund um die Welt Millionen verschlungen hat, ist demjenigen, der sich auf diesen Job bewirbt, bestimmt nicht in seiner ganzen Tragweite bewusst. Da kann man nicht nach zwei Jahren ankommen und sagen, „Och, eigentlich hatte ich mir das lustiger vorgestellt! Aber so? Nöö, da habe ich irgendwie keinen Bock mehr drauf…“ Natürlich wird also beim Auswahlverfahren schon ganz genau hingesehen, mit was für einem Menschen man es hier zu tun hat. Ich für meinen Teil kann nur den Hut ziehen vor dem Willen, der Intelligenz und der Integrität dieser Frauen und Männer. Natürlich haben sie die Gelegenheit zu einer außergewöhnlichen Erfahrung und sind schon von daher lebenslang „gesegnet“. Doch das Durchhaltevermögen und die Kraft, die nötig sind, dorthin zu kommen, sind schon etwas ganz Besonderes!
Raumschiff Erde
Ich beneide die Menschen schon, die unsere Erde mal verlassen dürfen, die diesen Planeten quasi von außen und im großen Bild betrachten können, auch wenn es sich gerade mal um 400 Kilometer Abstand handelt. Doch schon diese Ansicht unserer Heimat muss zwangsläufig dazu führen, dass deren Verletzlichkeit und Einmaligkeit nicht mehr allein intellektuelle Erkenntnis sondern konkretes, sich tief einprägendes Empfinden wird. Auch das Wissen um die Lebensfeindlichkeit der Umgebung – auch so nahe an unserer Erde – rückt die unbedingte Wichtigkeit ihres Schutzes in unser Bewusstsein. Wie tief muss diese Erkenntnis eventuelle zukünftige Raumfahrer treffen, die sich monatelang (!) durch die Schwärze des Weltraums bewegen, um etwa auf dem Mars zu landen? Wenn die Erde nur noch ein „Blauer Punkt“ am Himmel ist.
Links zu Dr. Alexander Gersts Aktivitäten:
Eigener Blog im Rahmen der ESA: http://blogs.esa.int/alexander-gerst/de/
Twitter: @Astro_Alex
Google+: https://plus.google.com/u/0/100324172058536717685/posts
Facebook: https://www.facebook.com/ESAAlexGerst?fref=ts
Pale Blue Dot: A Vision of the Human Future in Space
“Look again at that dot. That’s here. That’s home. That’s us.
On it everyone you love, everyone you know, everyone you ever heard of, every human being who ever was, lived out their lives. The aggregate of our joy and suffering, thousands of confident religions, ideologies, and economic doctrines, every hunter and forager, every hero and coward, every creator and destroyer of civilization, every king and peasant, every young couple in love, every mother and father, hopeful child, inventor and explorer, every teacher of morals, every corrupt politician, every „superstar“, every „supreme leader“, every saint and sinner in the history of our species lived there – on a mote of dust suspended in a sunbeam.The Earth is a very small stage in a vast cosmic arena. Think of the endless cruelties visited by the inhabitants of one corner of this pixel on the scarcely distinguishable inhabitants of some other corner, how frequent their misunderstandings, how eager they are to kill one another, how fervent their hatreds. Think of the rivers of blood spilled by all those generals and emperors so that, in glory and triumph, they could become the momentary masters of a fraction of a dot.
Our posturings, our imagined self-importance, the delusion that we have some privileged position in the Universe, are challenged by this point of pale light. Our planet is a lonely speck in the great enveloping cosmic dark. In our obscurity, in all this vastness, there is no hint that help will come from elsewhere to save us from ourselves.
The Earth is the only world known so far to harbor life. There is nowhere else, at least in the near future, to which our species could migrate. Visit, yes. Settle, not yet. Like it or not, for the moment the Earth is where we make our stand.
It has been said that astronomy is a humbling and character-building experience. There is perhaps no better demonstration of the folly of human conceits than this distant image of our tiny world. To me, it underscores our responsibility to deal more kindly with one another, and to preserve and cherish the pale blue dot, the only home we’ve ever known.”
Carl Sagan, Pale Blue Dot: A Vision of the Human Future in Space