„Mein Vater Erklärt Mir Jeden Sonntag Unsere Neuen Pläne“ – Mit Hilfe dieser Eselsbrücke lernte ich seinerzeit noch die Namen der damals neun Planeten: Merkur, Venus, Erde, Mars, Jupiter, Saturn, Uranus, Neptun und eben Pluto.

Gott der Unterwelt

Nun ist Letzterer bekanntermaßen – und zurecht – vom Olymp des Planetendaseins herab geholt worden in die Niederungen des „Zwergplanetentums“. Daher können Väter heute nur noch „Unseren Nachthimmel“ oder ähnlich verstümmelte Weisheiten weiter geben und der einsame Pluto, weit da draußen in den fernen Regionen des Sonnensystems, reiht sich wohl oder übel in die Klasse der Kuiper-Gürtel-Objekte ein.

Etwas beschämend für einen Gott der Unterwelt, nach dem er benannt ist.

Und doch: Seine Faszination bleibt erhalten. Nicht nur für mich, der ich mit ihm als Planet groß geworden bin, sondern auch für Astronomen und Astrophysiker, für Planetologen und Exobiologen.

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Pluto wie Hubble ihn sieht (oben) und in einer Interpolation (unten)

Es ist zum einen der Reiz des Unbekannten: Die großartigen Voyager-Sonden der 70er Jahre, die so unglaubliche Reisen durch unser Planetensystem haben unternehmen können, besuchten im Vorbeiflug sämtliche äußeren Planeten – Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun – ein Rendezvous mit Pluto freilich blieb ihnen beim besten Willen vorenthalten. Deswegen wissen wir über diesen einsamen, fernen Reisenden so gut wie nichts. Jedenfalls aus direkter, eigener Anschauung – denn bei aller Fähigkeit zur Abstraktion sind und bleiben wir Menschen Augentiere! Wir möchten sehen, wie diese fernen Welten sich präsentieren. Wir möchten einen Blick auf das Antlitz des geheimnisvollen Zwergplaneten werfen dürfen.

Drei lange Menschenleben, rund 248 Jahre, benötigt Pluto für eine Umkreisung der Sonne. Das heißt, jeder von uns Lebenden sieht nur ein gewisses Segment seiner Umlaufbahn, im besten Fall befindet er sich am Ende des Lebens unserer Ur-Ur-weißnichtwie-Enkel wieder an der Stelle, wo er sich zu unserer Geburt befand. Seine Entfernung zur Sonne beträgt zwischen 30 und 50 Astronomischen Einheiten, die für den mittleren Abstand Erde-Sonne stehen. Die Sonne erscheint aus seiner Sicht gerade 164 Mal so hell wie unser Vollmond, jedoch nur rund 1/2450stel so hell wie wir sie sehen dürfen.

Ferner Miniaturkosmos

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Das System Pluto-Charon

Inzwischen ist bekannt, dass Pluto wenigstens nicht allein seine Bahn ziehen muss. Er hat mindestens fünf nennenswerte Begleiter – der größte davon, Charon, ist gut halb so groß wie Pluto selber. Das macht die beiden fast zu einem Doppelplanetensystem. Zwei weitere große Monde heißen Nix und Hydra und dann kommen noch der Höllenhund Kerberos und Styx, der Fluss der Unterwelt aus der griechischen Mythologie. Charon ist, hierzu passend, übrigens der Fährmann, der die Seelen der Verstorbenen über den Fluss ins Jenseits übersetzt. Alles in allem eine recht düstere Gesellschaft in diesen lichtfernen Regionen. Genau dieses düstere, geheimnisumwitterte Image übt auf mich und viele andere durchaus eine gewisse Faszination aus.

Licht ins Dunkel

Doch neben all diesen gefühlsbetonten, sentimentalen Gründen gibt es natürlich auch handfeste wissenschaftliche Fragestellungen, die Pluto samt Begleitung aufwerfen. So möchte man gerne herausfinden, wie die Oberfläche Plutos – und auch Charons – beschaffen ist, ob sie eine (dünne) Atmosphäre aufweisen. Deren Zusammensetzung soll detailliert erkundet werden. Und natürlich möchte man möglichst viel über die chemische und geologische Zusammensetzung dieses Eis-/Gesteinsplaneten in Erfahrung bringen. Hierin liegen Antworten auf viele Fragen der Entstehung unseres Sonnensystems und auch das Wesen der äußersten Regionen unseres Sonnensystems lässt sich besser beurteilen, wenn man diesen Wanderer zwischen den Welten näher kennen lernt.

Eine Raumsonde zu Erkundung neuer Horizonte

nhov20140701_0327So wurde am 19. Januar 2006 eine Forschungssonde mit dem bezeichnenden Namen „New Horizons“ mit Hilfe einer Atlas-V-Trägerrakete gestartet. Sie beschleunigte die rund eine halbe Tonne schwere Sonde auf die höchste bisher mit gegebene Geschwindigkeit: rund 16 km/s – immer noch furchtbar langsam für die lange Wegstrecke, die vor ihr lag… Etwas mehr als ein Jahr später wurde der mächtige Jupiter für ein Swing-By-Manöver genutzt, um „New Horizons“ weitere Geschwindigkeit in Richtung Pluto mit auf den Weg zu geben. Außerdem wurde die Gelegenheit genutzt, um die Instrumente und Kameras im praktischen Betrieb zu testen. So entstanden einige Aufnahmen von Jupiter und einem seiner Monde, Io. Hierbei schön zu erkennen war zum Beispiel der hoch reichende Ausbruch eines seiner Vulkane.

Seit diesem Vorbeiflug sind nun über sieben Jahre vergangen. Jahre durch leeren, schwarzen Raum, ohne Ablenkung. Am 25. August 2014 kreuzt die Sonde die Umlaufbahn des Neptun. Dieser selber ist zu jener Zeit allerdings weit entfernt. Das Datum ist dennoch von Interesse, da genau vor 25 Jahren die Raumsonde „Voyager 2“ an Neptun vorbeigeflogen ist. Nebenbei bemerkt, hat auch Neptun in der Zwischenzeit nicht mal ein Sechstel seines Sonnen-Umlaufs vollendet.

Der 14. Juli 2015

Bildschirmfoto 2014-07-14 um 16.45.20Und in genau einem Jahr – am 14. Juli 2015 – wird die Forschungssonde „New Horizons“ das Plutosystem erreichen.

Genau gesagt wird sie mit ziemlich hoher Geschwindigkeit daran vorbei rasen. Leider ist es mit derzeitiger Technik schlicht nicht möglich, Pluto einerseits in einer halbwegs sinnvollen Zeit zu erreichen (die knapp zehn Jahre ziehen sich insbesondere für die beteiligten Forscher sowieso schon ziemlich) und die dafür notwendige Geschwindigkeit dann vor Ort so drastisch abzubauen, dass zum Beispiel in einen Orbit eingeschwenkt werden könnte. Das wäre natürlich extrem wünschenswert, um das ganze System ausführlich zu erforschen, doch ist das Nutzlast/Treibstoffverhältnis einer solchen Mission nicht in die notwendige Größenordnung einstellbar.

So fliegt „New Horizons“ heute in einem Jahr also zackig und dafür haarscharf an Plutos Oberfläche vorbei, in einer Entfernung von gerade mal 9.600 Kilometern. Man bedenke: die Sonde ist zu diesem Zeitpunkt 4,5 Milliarden Kilometer von uns entfernt! Der Mond Charon wird in gut 26.000 Kilometer Entfernung passiert. Man kann sich also vorstellen, dass die Sonde – und eine Menge Techniker und Wissenschaftler auf der Erde – nach Jahren des tatenlosen Wartens plötzlich hellwach sein müssen und die „Augen“ und „Fühler“ am besten überall gleichzeitig haben sollten. Die heiße Phase der Mission ist dann gerade mal zwei bis drei Stunden lang – mit glühenden fünf Minuten in der Mitte!

Und wie geht es danach weiter? Genau diese Fragestellung wurde von der NASA öffentlich gemacht: es wurden Vorschläge erbeten, welche Ziele, die für die Sonde hinter der Plutobahn erreichbar sind, für eine nähere Untersuchung lohnenswert scheinen. Wahrscheinlich wird versucht werden, weitere Kuipergürtel-Objekte ausfindig zu machen und anzufliegen. Allerdings ist bis zu diesem Zeitpunkt kein geeignetes Ziel bekannt, das mit dem Resttreibstoff zu erreichen wäre. Entweder wird also noch ein lohnendes Target gefunden oder „New Horizons“ muss sich dem Schicksal ergeben, hinter dem Fluss der Unterwelt nur noch schwarze Leere zu erblicken.

Toll!

Ich finde diese Mission toll! Da wird eine autogroßes Sammelsurium von Technik auf eine Reise in den hintersten Winkel unseres heimatlichen Sonnensystems geschickt, um nachzusehen, wie es dort genau aussieht, was es zu lernen gibt aus den dortigen Verhältnissen, welche Wunder vielleicht auf unser Staunen warten. Da treibt diese kleine Sonde, zwischen den seltenen Triebwerksstößen einfach den Kepler’schen Bahngesetzen gehorchend, durch viel, viel dunkles Nichts. Und streift dann – nach fast zehn Jahren – den ebenfalls zwergenhaften Planeten fast mit den ausgebreiteten Instrumentenauslegern… Diese Präzision der Berechenbarkeit macht mich fast schon demütig. Dabei ist das schlicht die korrekte Anwendung von Mathematik.

Boah, aber wie klasse ist das denn?!


 

Links

Gerne verweise ich auf einen Artikel zum Thema von Florian Freistetter: New Horizons: Weltraumission zum Pluto ohne Ziel

Auf Wikipedia kann man sich ausführlich über die Mission und die Instrumente informieren: New Horizons

Ausführlicher geht es kaum noch: Bernd Leitenbergers Website zu New Horizons

Zum Schluss noch die offizielle Seite der NASA zur Mission „New Horizons“