Ende Februar dieses Jahres fanden sich einige Mitgliedern des Flugsportvereins Sindelfingen zu einem ganz besonderen Anlass zusammen: Dank Jochen Wincklers Organisation bot sich die interessante Gelegenheit, sich am DLR-Standort Lampoldshausen, dem „Institut für Raumfahrtantriebe“ ganz hautnah ein Bild zu machen über die Forschung an und Entwicklung von Raketenantrieben. Die Abkürzung DLR steht für Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt, und die Versuchsanlagen nördlich von Heilbronn – in einem abgelegenen Waldgebiet gelegen – sind für die europäische Raumfahrt die zentrale Anlaufstelle, um Raketenantriebe sowohl unter Boden- als auch unter Weltraumbedingungen, also im Vakuum, ausführlich zu testen und zu qualifizieren, das heißt: für den Einsatz in den Raketen zuzulassen.
Jochen Winckler hatte dieses Winterprogramm für uns angeboten, mit Kurt Haug stand ein erfahrener Busfahrer für unsere kleine Gruppe von ca. 25 Interessierten zur Verfügung. Man traf sich gegen 9.30 Uhr am Glaspalast in Sindelfingen und konnte sich einigermaßen pünktlich auf den Weg machen, das Ziel etwas nördlich von Heilbronn. Dort binnen kürzester Zeit angekommen, konnten wir gleich das modern und großzügig angelegte Besucherzentrum für uns in Beschlag nehmen.
Einen guten Einblick in die Arbeit der Ingenieure in Lampoldshausen gibt der Interview-Podcast „Raumzeit“ von DLR und ESA mit der Folge 003, „Raumfahrtantriebe“
Kompetente Informationen aus erster Hand
Wir wurden bereits von unserem „ganz privaten“ Führer und Experten Herrn Adolf Frank erwartet. Herr Frank ist ein Mann der sprichwörtlich ersten Stunde: Schon als Jugendlicher war er sehr experimentierfreudig und mit den außergewöhnlichsten Ideen gesegnet. Da er hier in Lampoldshausen beheimatet war, kam die Etablierung dieses Standortes der Forschung und Entwicklung im Jahr 1959 durch den berühmten Raketenwissenschaftler Eugen Sänger für ihn geradezu wie gerufen. Nach Technikerausbildung und Bundeswehrzeit war er Feuer und Flamme, ab 1961 im dortigen Waldgebiet die Errichtung der allerersten Prüfstände zu unterstützen und mehr und mehr mit zu planen. Er begleitete den gesamten weiteren Ausbau und die immer wieder notwendigen Erweiterungen über die nächsten Jahrzehnte hinweg bis zu seiner Pensionierung als Prüfstandmeister mit mittlerweile immenser Erfahrung.
Ohne Engagement keine Ausstellung!
Und auch jetzt lässt ihn die Begeisterung für seine Arbeit nicht los! Zusammen mit seinem Kollegen aus alten Zeiten zeichnet er verantwortlich für das Sammeln der Exponate eben jener Ausstellung von Raketentriebwerken, die wir in den folgenden rund zwei Stunden ausführlich bewundern konnten.
Anhand eines Architektenmodells, das das gesamte inzwischen einverleibte Waldgebiet und die darin verteilten verschiedenen Gebäude und Installationen anschaulich darstellt, erläuterte Herr Frank zunächst die diversen Versuchsanlagen und Prüfstände, außerdem die für den Betrieb notwendigen, etwas vom normalen Maß abweichenden Mengen an „Betriebsmitteln“ wie etwa flüssigem Sauerstoff oder ebensolchen Wasserstoff. Natürlich kommen auch unangenehmere Treibstoffe wie Hydrazin zum Einsatz, die unter ganz speziellen Sicherheitsanforderungen gelagert werden müssen.
Verbrauch: 600.000 Liter in der Viertelstunde
Das eindrucksvolle Beispiel, das er hier anbrachte, war die für einen „normalen“ fünfzehnminütigen Test des großen Vulcain-Triebwerks nötige Menge von gut 600.000 Litern flüssigen Wasserstoffs und entsprechenden Größenordnungen ebenso flüssigen Sauerstoffs. Um diese heranzuschaffen, fahren vor einem geplanten Triebwerkstest gut eine Woche lang täglich mehrere Tankzüge in den Lampoldshausener Wald.
Getestet werden im heimeligen Grün Triebwerke verschiedenster Bauart und Größe aus dem gesamten Raketen- und Sondenprogramm der ESA, der European Space Agency. Das angesprochene Vulcain-Triebwerk treibt– zusammen mit zwei Feststoffboostern – die erste Stufe der Ariane V-Rakete an, dem inzwischen äußerst zuverlässigen und erfolgreichen Raumlastesel der Europäer. Diese Triebwerke können natürlich unter atmosphärischen Normalbedingungen getestet werden, sie starten ja auch vom Boden weg. Allerdings muss dafür gesorgt werden, dass die nicht unerhebliche Menge entstehenden Abgases (Wasserdampf) irgendwie sinnvoll abgeführt und der wahrlich „infernalische“ Lärm des Triebwerks gedämpft wird. Diese Parameter bestimmen in erster Linie das Design der Prüfstände. Die Tests werden behördlich angemeldet und der Luftraum über dem Versuchsgebiet gesperrt, da hierbei riesige Wasserdampfwolken gen Himmel steigen und die „brüllende“ Verbrennung die Umgebung „erzittern“ lässt.
Weltraum auf Erden
Die andere, weit kompliziertere Form von Prüfständen zeichnet sich dadurch aus, dass sie dem zündenden und brennenden Triebwerk weitestgehend „Weltraumbedingungen“ bieten müssen, also ein Vakuum während des Brennvorgangs. Dies wird durch komplexe Verdampfer erreicht, die über wiederholte Expansion der Luft in der Versuchskammer den Luftdruck darin auf ca. 1 mbar reduzieren – normal sind rund 1.000 mbar.
Nach diesen ersten Erklärungen und Anekdoten konnten wir mittels eines Imagefilms einen zusammengefassten Überblick über die am dortigen Standort geleisteten Arbeiten gewinnen.
Nach dem Film wurden noch verschiedene Fragen beantwortet, unter anderem die nach der Verwendung der Prüflinge in den später tatsächlich fliegenden Raketen oder der persönlichen Motivation von Herrn Frank, die ihn zu dieser Arbeit geführt hat. Interessant auch, dass der heute so selbstverständlich scheinende „Countdown“ vor dem Start einer Rakete in Wirklichkeit eine Erfindung des Regisseurs Fritz Lang war, der den Stummfilm „Die Frau im Mond“ mit einer für sich selbst sprechenden, stummen Dramatik ausstatten musste. Dieses Herabzählen zur sich selbst erklärenden Null hat sich seit dem erhalten.
Danach ging es zur Führung durch die gesammelten Exponate, ausgetesteter Triebwerke, Schnittmodelle von Brennkammern, Modellen der Verdampferanlagen.
Alles begann in Penemünde
Wie so oft, war der Krieg Motor für die ersten Entwicklungen neuester Technik. Basierend auf den ersten Forschungen von Konstantin E. Ziolkowsky entwickelten die Ingenieure auf der bekannten Basis im Norden der Insel Usedom, der Heeresversuchsanstalt Peenemünde, die ersten Raketen zur Abwehr feindlicher Bomberverbände. Diese Rakete nannte sich „Wasserfall“ und wurde mit einem lagerfähigen Treibstoff betrieben.
Das ausgestellte Exemplar eines übrig gebliebenen Triebwerks der Wasserfallrakete sah tatsächlich noch sehr gusseisern und grobmechanisch aus und man konnte sich wundern, wie diese Anfangstechnik überhaupt in der Lage war, sich in die Luft zu erheben.
Die weitere Entwicklung der Raketentechnik ging ja bekanntermaßen über die mit einem luftsaugenden Triebwerk ausgestattete V1-Rakete bis hin zur schon technisch sehr ausgereiften Boden-Boden-Rakete „Aggregat 4“, besser bekannt als V2, mit einem „V“ für „Vergeltungswaffe“. Deren Kriegseinsatz kostete rund 8.000 Menschen in London und Antwerpen das Leben. Noch mehr Opfer aber kostete die Produktion der Raketen durch Häftlinge und Kriegsgefangene (ca. 12.000 bis 20.000). Zum Glück kam das Ende des Krieges vor der Vervollkommnung dieser Waffe. Bekanntermaßen gab es einen Wettlauf der Alliierten um die Ingenieure von Peenemünde, deren Wissen um die Konstruktion und Steuerung von Raketen sich weltweit auf einem einzigartigen Niveau befand. Die meisten wurden – rund um Dr. Wernher von Braun – von den Amerikanern mit offenen Armen aufgenommen, ungeachtet der zweifelhaften Begleitumstände der Forschungsarbeiten in Peenemünde.
An mir vorbei gegangen waren die dann leider die Erläuterungen Herrn Franks zu der Modulrakete mit den sechs oder acht Triebwerksmodulen.
Von der Waffe zur Plattform der Eroberung des Weltraums
Die Amerikaner auf der einen und die Wissenschaftler der Sowjetunion auf der anderen Seite trieben die Entwicklung der Raketen in den folgenden Jahrzehnten voran, jedoch weiterhin vor allem aus Gründen der Überlegenheit am Himmel – denn: Wer in der Lage wäre, den Weltraum zu erreichen, eine Umlaufbahn um die Erde, konnte natürlich auch auf jeden beliebigen Punkt hinunter sehen oder etwas hinunter fallen lassen, sprich, bombardieren. Deswegen war die Piepsdose „Sputnik“ 1957 auch so ein Schock für die Amerikaner. Wie wir wissen, gipfelten die vorangepeitschten Ingenieursleistungen dann in den Mondlandungen der Amerikaner. Nach einer Phase der Ernüchterung kam die inzwischen gereifte Technologie Mitte der Siebziger endlich auch für Forschung und Industrie zum Einsatz. Damit kommen wir auch wieder zu den Arbeiten des DLR für die Europäische Raumfahrtorganisation ESA. Diese etablierte sich mehr und mehr als eigenständige Organisation neben der früher so übermächtigen amerikanischen NASA.
Mit das größte zu bewundernde Ausstellungsstück ist ein originalgetreues Schnittmodell einer Ariane-Oberstufe mitsamt der aufgeschnittenen Sauer- und Wasserstofftanks und dem darunter positionierten Triebwerk. Sehr augenfällig auch die Modelle der Ariane 4 und Ariane 5, beides inzwischen Erfolgsmodelle der Europäischen Raumfahrtindustrie mit einem hohen Maß an Zuverlässigkeit und Sicherheit. Ebenfalls hier entwickelt und getestet wurden die Steuertriebwerke des europäischen ATVs (Automatic Transfer Vehicle). Hierbei handelt es sich um das einzige Versorgungsraumschiff für die Internationale Raumstation ISS, das diese vollautomatisiert anfliegen und an ihr andocken kann.
Ein beeindruckendes Schnittmodell eines Triebwerks mit den zugehörigen Einspritzpumpen fasziniert durch die in ihm sichtbare hohe Kunst der Feinwerktechnik und der inzwischen sehr ausgefeilten Optimierung der Verbrennungsvorgangs. Desweiteren präsentieren zwei in Dreiviertelkreisen angeordnete Schaukästen Muster, Modelle und Erläuterungen zu Raumfahrtmissionen, Steuertriebwerken (z.B. Galileo, Rosetta, Ariane-Start mit den verschiedenen Stufen) und den neuesten Entwicklungen der Brennkammeroptimierung und deren Kühlungsdesigns.
Und? Wie war’s?
Insgesamt wurde die Zeit zur ausführlichen Beschäftigung mit den zahlreichen, liebevoll zusammengestellten Exponaten und den tatsächlich bereichernden Infotafeln gegen Ende reichlich kurz, hier hätte ich mir noch so eine zusätzliche Stunde gewünscht, in der auch die weniger spektakulären aber nicht minder wichtigen hier entwickelten oder getesteten Antriebseinheiten und -technologien in Ruhe zu vertiefen gewesen wären.
Es gab noch so viel zu betrachten in Sachen Interplanetarer Missionen wie Galileo und Rosetta und der in diesem Zusammenhang hier beigesteuerten Technik. Noch mehr hätte ich mich beschäftigen können mit den Teilaspekten der Einspritz- und Kühlungsverfahren, die in den Schaukästen erläutert wurden. Die „Nebenprodukte“ der Triebwerkstests, nämlich die Verdampfer und Vakuumanlagen sind beinahe ein Ingenieurszweig für sich. Alles in allem also zeigt sich die große Dichte an Informationen und Beispielen der hier durchgeführten Arbeiten erst nach einer Weile. Am liebsten würde ich mit dem Grundlagenwissen aus diesem ersten Besuch möglichst bald einen weiteren anschließen, um das Gefühl zu haben, so das Meiste gesehen und verstanden zu haben.
Unbedingt zu empfehlen ist ein Besuch dieser Einrichtung solange noch Mitarbeiter wie Herr Frank die Führung geben können, der wirklich mit ganzer Seele in der Forschungs- und Entwicklungsarbeit aufgegangen ist und das Entstehen dieses Standorts hautnah begleitet hat. Dieser Schatz an Insiderwissen und Engagement ist wirklich unbezahlbar! Das hat der Führung ein Maß an Authentizität gegeben, das kein „Neig’schmeckter“ je wird vermitteln können.
Ich fand’s klasse!
© Text und Bilder: Jochen Otte 2014
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Die Sindelfinger Flugsportler mit ihrem Wissensvermittler Herr Frank (ganz rechts):
Das Vulcain-2-Triebwerk, das – zusammen mit zwei Feststoffboostern – eine Ariane 5 vom Boden abheben lässt.
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Das Vulcain-2-Triebwerk, Details der Treibstoffzuführungsleitungen
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Querschnitt durch die Flüssiggastanks einer Ariane-Oberstufe: die obere Kammer beherbergt den Flüssig-Wasserstoff, die kleinere unten den flüssigen Sauerstoff.
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Erläuterungen des Oberstufenschnittmodells
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Aufbau und Schnitt eines Oberstufentriebwerks mit Treibstoffpumpen, Brennkammer und Düse
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Erläuterungen zu oben stehendem Triebwerk
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Das Modell der Ariane IV-Rakete
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Erläuterungen zur Ariane IV-Rakete
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High-Tech at its „beautifulest“!
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Antriebsdüsen der Forschungs- und Kommunikationssatelliten Galileo, Astra und Rosetta
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Übersichtsdarstellung der ESA-Mission „Rosetta“
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Darstellung des Ablaufs einer typischen Satellitenmission vom Start mit einer Ariane V bis hin zum Aussetzen der Nutzfracht
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Der Einspritzkopf des Oberstufentriebwerks der Ariane V
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